Das Meer ist unsere Mauer. Quelle: Der Stacheldraht Nr 2/2005
„Es ist für uns
wichtig, daß die ehemalige Opposition Ostdeutschlands und
Osteuropas nun die heutige Opposition in unserem Land unterstützt,
unabhängig davon, wo der
einzelne im demokratischen
politischen Spektrum steht. Entscheidend ist die Frage der
Menschenrechte“
Ein Gespräch mit Jorge Luis Garcia Vazquez, kubanischer
Oppositioneller im deutschen Exil.
STACHELDRAHT: Weshalb kam es 2003 auf Kuba zu einer neuen großenRepressionsswelle?
Vazquez: Die Lage war für Castro politisch und wirtschaftlich sehrkompliziert geworden. Es begann 1998 mit dem Besuch des Papstes, der zu einer Öffnung der Kirchen führte. 2002 reiste Jimmy Carter nach Kuba und sprach vor Tausenden von Menschen ganz offen über die kubanische Opposition. Damit war offiziell: Es gibt sie! Er informierte in seiner Rede auch über das Varela-Projekt des Bürgerrechtlers Osvaldo Paya, dasmit einer Unterschriftensammlung ein Plebiszit herbeiführen sollte. Da war Castro schon verunsichert. Dann bekam Paya den Sacharow-Preis und hielt eine Rede im Europäischen Parlament.
Die kubanische Opposition wurde immer stärker, sie verlangte
Meinungsfreiheit und demokratische Wahlen. Es waren
bereits
Parallelen zu Osteuropa zu sehen. Das hat Fidel Castro alarmiert. Erließ gegen drei Bootsentführer Todesurteile vollstrecken und 75 der bekanntesten Dissidenten verhaften und zu hohen Freiheitsstrafen verurteilen.
Parallelen zu Osteuropa zu sehen. Das hat Fidel Castro alarmiert. Erließ gegen drei Bootsentführer Todesurteile vollstrecken und 75 der bekanntesten Dissidenten verhaften und zu hohen Freiheitsstrafen verurteilen.
STACHELRAHT: Daraufhin verhängte die EU Sanktionen gegen Kuba.
Worin bestanden die?
Vazquez: Seit 1996 betrieb die Europäische Union eine gewisse
Annäherungspolitik gegenüber der kubanischen Regierung, die man"Wandel durch Annäherung" nannte. Es fanden Gespräche mit Castro undseinen Vertretern statt, aber nicht mit der Opposition. Das haben wirkritisiert. Auch die Sanktionen von 2003 wollte Europa nicht wirklich.
Ich denke, es wußte genau, daß sie nichts bringen. Europa hat wohleher unter dem Druck anderer Staaten politisch reagiert. DieSanktionen bestanden darin, daß hochrangige kubanische Politiker nicht mehr ohne weiteres in die EU einreisen durften, daß es weniger Kontakte auf höherer Ebene gab, daß die Buchmesse in Havanna boykottiert wurde und stattdessen kubanische Dissidenten Einladungen in europäische Botschaften erhielten.
STACHELRAHT:
Am 31. Januar dieses Jahres hat dieEU-Außenministerkonferenz
beschlossen, die Sanktionen zunächst für ein halbes
Jahr – auszusetzen.
Welche Auswirkungen hat das auf
die zwischenstaatlichen Beziehungen und auf die kubanische
Oppositionsbewegung?
Oppositionsbewegung?
Vazquez: Es gibt nun wieder einen Dialog, was an sich begrüßenswertist. Aber in Wirklichkeit ist es ein Monolog. Mit Castro kann mannicht reden, er hört nicht zu. Wenige Tage nach dem Beschluß der Außenminister hat er in einer vierstündigen Rede erklärt, daß Kuba die EU und Amerika nicht brauche und gelernt habe, auf deren Hilfe zuverzichten. Das war seine Reaktion, obwohl die EU seinen Wunsch erfüllt hat und keine Oppositionellen mehr in die Botschaften einladen wird. Die Dissidenten sind also jetzt draußen. Europa will ihnen zwar helfen, aber wie will es das tun, wenn es keine Kontakte mehr zur Opposition gibt? Vaclav Havel hat gesagt: Wo kommen wir hin, wenn Castro der EU Bedingungen stellen kann, wohin soll das führen? Er hat den europäischen Staaten eine moralische Lektion erteilt, aber leider ohne Erfolg.
STACHELDRAHT: Wieso hat Castro, nachdem Europa auf seine Bedingungen eingegangen ist, eine derart arrogante und ablehnende Haltung eingenommen?
Vazquez: Das ist Castros Methode seit 45 Jahren – die Provokation. Er lebt davon, andere herauszufordern. Immer hin und her, das ist seine Art. Die Art eines Diktators, der über eine Insel herrscht und mit den Einwohnern machen kann, was er will. Wir haben keine Grenzen, wir haben nur das Meer, und das ist unsere Mauer. Castro braucht keinen Stacheldraht, die geographische Lage Kubas erlaubt es ihm, so mutwillig zu herrschen. Ich glaube, es sind seine letzten Jahre, und er will unbedingt so lange an der Macht bleiben, bis er stirbt.
Ins Exil
zu gehen, kann er sich nicht vorstellen. Wahrscheinlich wird er bis
zur letzten Sekunde seines Lebens die internationale
Gemeinschaft,die USA, alle demokratischen Kräfte provozieren
und beleidigen, um allen zu zeigen, daß er der Größte
ist. Seht her, ich bin der Chef, ihr habt mir nichts zu sagen. Er
hat ja schon geäußert, daß Europa gar nicht die
moralische Autorität habe, Sanktionen gegen Kuba zu verhängen.
STACHELDRAHT: Welche Interessen haben die europäischen Länder denn in Kuba, daß sie mit dieser Diktatur so nachsichtig umgehen?
Vazquez:
Europa hat kein Konzept, wie man mit solchen
Diktaturen umgehen muß. Es wartet meist, bis andere Staaten
etwas tun. Der Euro zirkuliert auf Kuba und steht dort gut. Die
Europäer versuchen jetzt, die Amerikaner vom Markt zu
verdrängen. Auf die Wirtschaft haben sich die Sanktionen
sowieso nie erstreckt. Die Geschäfte liefen weiter,Deutschland
z.B. hat Nickel von Kuba gekauft. In erster Linie geht's
um
Geld, nicht um Menschenrechte.
STACHELDRAHT: Welche politische Unterstützung könnte Deutschland der kubanischen Oppositionsbewegung in der jetzigen Situation geben?
Vazquez: Die Regierung sollte sich für die politischen Häftlinge einsetzen. Aber nicht so, daß Frau Wieczorek-Zeul den kubanischen Außenminister trifft und mal anfragt, wieviele Gefangene er denn vielleicht freilassen würde. Das geht nicht. Man muß dieser Diktatur in Kuba das Gefühl geben, daß Europa die bedingungslose Freilassung aller politisch Inhaftierten verlangt. Wie kann man die Oppositionsbewegung unterstützen? Indem man sie schützt. Indem man sich mit ihren Vertretern trifft, an die Presse geht, die europäische Öffentlichkeit aufmerksam macht. Die kubanische Opposition braucht moralische Unterstützung, die internationale Anerkennung ihreLegitimität, und nicht das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse für Miguel Barnet, einen bekannten kubanischen Schriftsteller und Volkskammerabgeordneten, der gemeinsam mit anderen Intellektuellen in einem Offenen Brief die Repressionswelle Castros begrüßte.
STACHELDRAHT: Hat er die Auszeichnung vor oder nach diesem Brief erhalten?
Vazquez: Danach.
STACHELDRAHT: Haben Briefe wie jener, den das Bürgerbüro unlängst initiiert hat (s. STACHELDRAHT 1/05, S. 5), für die kubanische Opposition überhaupt einen konkreten Nutzen?
Vazquez: Auf jeden Fall. Ich habe gerade eine E-Mail bekommen, in der sich eine kubanische Dissidentin für die Unterstützung aus Deutschland bedankt. Auch die UOKG-Resolution im letzten Jahr ist sehr gut angekommen bei den Menschen in Kuba. Es ist für uns wichtig, daß die ehemalige Opposition Ostdeutschlands und Osteuropas nun die heutige Opposition in unserem Land unterstützt, unabhängig davon, wo der einzelne im demokratischen politischen Spektrum steht. Entscheidend
ist die Frage der Menschenrechte.